Das Potsdamer Landtagsschloss

Vortrag von Saskia Hüneke, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Kustodin der Skulpturensammlung,
am Donnerstag, den 12. April 2018, um 19.00 Uhr im Rathaus Schöneberg.
Moderation: Dr. Guido Hinterkeuser

Das neue Gebäude des Brandenburgischen Landtags am Alten Markt in Potsdam ist das Ergebnis intensiver öffentlicher Debatten und Fachdiskurse, wobei die Grenzen zwischen beidem hier ungewöhnlich fließend sind. Ausgelöst durch die gemeinsame Initiative der Verfasserin mit den Potsdamer Architekten Günther Vandenhertz und Christian Wendland wurde die städtebauliche Problematik des Theaterrohbaus auf dem Alten Markt ab Herbst 1989 in die Öffentlichkeit getragen. Nach heftigen Auseinandersetzungen bildete sich 1990, gestützt durch den damaligen Oberbürgermeister Horst Gramlich, eine Beschlussmehrheit in der Stadtverordnetenversammlung für einen Baustopp und 1991 zum Abriss des Rohbaus heraus. Dadurch und mit dem zweiten Absatz des Beschlusses von 1990 zur „Wiederannäherung […] an das charakteristische, historisch gewachsene Stadtbild“, der sich auf die städtebaulichen Strukturen im Kern der Potsdamer Altstadt bezog, wurde der Weg für die zukünftige Entwicklung frei. Ein neues Theater für Potsdam wurde stattdessen 2006 inmitten des Kulturzentrums Schiffbauergasse am Tiefen See eröffnet.

Zur Wiedergewinnung der Potsdamer Mitte haben internationale Planungsworkshops 1991 und 2006, die Sanierungssatzung 1999, ein Beirat Potsdamer Mitte aus Stadtverordneten und Fachleuten von 2000–2008, Veranstaltungen und Ausstellungen des Sanierungsträgers Potsdamer Mitte, allein elf öffentliche Sitzungen des Potsdamer Stadt-Forums zwischen 1998 und 2017, diverse Veröffentlichungen pro und kontra sowie 2015 zwei divergierend konzipierte Tagungen, Architektur als Mythos der Fachhochschule Potsdam und Schrott oder Chance der Initiative „Mitte neu denken“, das Für und Wider sowohl unter Aspekten nachhaltiger Stadtentwicklung als auch im Spannungsfeld zwischen „Rekonstruktion“ und Bewahrung der „Ost-Moderne“ beleuchtet. Immer wieder wurden dabei Anregungen aus anderen Städten und Regionen hinzugezogen. Mit Beschlüssen zum Sanierungsgebiet, zu Bebauungsplänen, zur Verkehrs-und Platzgestaltung sowie durch anspruchsvolle Bedingungen zu Gestaltung, Nutzung und sozialer Verträglichkeit in den Vergabeprozessen haben die Stadtverordnetenmehrheiten, teilweise über den Rahmen der Kooperation von SPD, CDU-ANW, Bündnis90/Die Grünen, Bürgerbündnis/FDP hinaus, gemeinsam mit der LINKEN für immer genauer definierte Rahmenbedingungen und letztlich erste Realisierungsetappen bei der Wiedergewinnung der Potsdamer Mitte gesorgt.

Fragmentzuordnung (Daniel Rahn), 1997. Quelle: SPSG

Fragmentzuordnung (Daniel Rahn), 1997. Quelle: SPSG

Rückgabe von Fragmenten der Urania-Skulptur von der Südwestecke, 2005. Quelle: SPSG (Foto: Hüneke)

Rückgabe von Fragmenten der Urania-Skulptur von der Südwestecke, 2005. Quelle: SPSG (Foto: Hüneke)

Die Frage, ob, wie genau und für welche Funktion das Potsdamer Stadtschloss wiedererrichtetet werden sollte, war dabei immer zentral, zeitweise das Hauptthema des Diskurses zur Potsdamer Mitte, zu der jede der genannten Stadtfraktionen Initiativen beitrug. Eine erste Bergung von Bau-und Skulpturenfragmenten vom Verein ARGUS Potsdam e.V. 1993, die Erforschung der Bauspolien durch Daniel Rahn 1997 und der Skulpturen in meiner Verantwortung, das 1998 erschienene Standardwerk Das Potsdamer Stadtschloss von Hans-Joachim Giersberg, die Ausgrabungen im Lustgarten 1999/2000 unter Leitung der Stadtarchäologin Gundula Christl, gemeinsam mit ihr die Ausstellung Minervas Mythos. Fragmente und Dokumente des Potsdamer Stadtschlosses 2001 im Alten Rathaus sowie die durch die Hasso-Plattner-Kulturstiftung geförderte Präsentation von bedeutenden Bauspolien am Kutschstallhof 2005 haben der Öffentlichkeit den Wert des Verlorenen und des Erhaltenen gleichermaßen vor Augen geführt. Nicht zuletzt haben zahlreiche Bürgergaben den öffentlichen Bestand an historischen Fotos und Skulpturenfragmenten außerordentlich bereichert. Alle Aktivitäten belegen, wie stark ein solches Projekt Wissenszuwachs und Engagement generiert.

Veranstaltungen des Fördervereins, u.a. mit dem auf Jean de Bodt spezialisierten Bauhistoriker Jochen Kuke, der Stadtverordnetenbeschluss von 1999, die Schirmherrschaft der Vorsitzenden Birgit Müller und letztlich eine Großspende von Fernsehmoderator Günther Jauch ermöglichten den Wiederaufbau des Fortunaportals 2000/2001. Das Vorhaben wurde von einem Fachbeirat unter Leitung des Sanierungsträgers begleitet, in dem u.a. das Potsdamer Architekturbüro Bernd Redlich, der Steinfachmann Thomas Bolze und als Vertreter der SPSG neben mir Steinrestaurator Rudolf Böhm beteiligt waren. Aufgrund der Bemühung um größte Genauigkeit kann das neue Fortunaportal als „Rekonstruktion“ im strengen Sinne angesehen werden. Die Vervollständigung des Skulpturenschmuckes erfolgt nach und nach aus Spenden über den Verein Potsdamer Stadtschloss, damals von Michael Schöne, heute von Jochen Kuke geleitet, wobei je nach Zustand restauriert bzw. nach historischen Fotoaufnahmen rekonstruierend ergänzt wird.

Zum Schloss waren die Weichen nach einer Nutzungsstudie von Arthur Andersen 1997, einem Stadtverordnetenbeschluss zugunsten der bautypologisch und ideell geeigneten Nutzung durch den Brandenburgischen Landtag 2001 sowie dessen entscheidendem Beschluss 2005, ein Landtagsgebäude auf dem Alten Markt in der Gestalt des Potsdamer Stadtschlosses zu errichten, nur scheinbar gestellt. Eine Machbarkeitsstudie von Waechter&Waechter im Auftrag des Finanzministeriums unter Leitung von Minister Rainer Speer, der immerhin schon die Einbeziehung der Kopfbauten am Alten Markt veranlasst hatte, sowie der Bebauungsplanentwurf in der Frühzeitigen Bürgerbeteiligung 2006 nährten die Annahme, nicht die stadtraumprägende Baukubatur, sondern ein Fake mit Seitenflügeln ohne Risalite sei geplant.

Vor diesem Hintergrund verweigerte sich die bündnisgrüne Fraktion dem B-Plan, initiierte die Kabarettistin Barbara Kuster angesichts der Gefährdung des Vorhabens winterliche Demos, die zur Gründung der Initiative „Mitteschön“ führten, die neben dem Verein Potsdamer Stadtschloss weitere Fachleute in den öffentlichen Diskurs einbrachte, setzte die LINKE eine Bürgerbefragung zum Standort durch und konnte ARGUS Potsdam e.V. mit einer forsa-Umfrage belegen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung das Landtagsschloss befürwortete und sogar eine große Mehrheit einen modernen Landtag auf dem Alten Markt ablehnte. So erhielt der B-Plan zuletzt zumindest eine Baugrenze mit Risaliten, das Land kürte im Wettbewerb Peter Kulka als Architekt und eine Großspende von SAP-Gründer Hasso Plattner ermöglichte eine historisierende Außengestaltung des neuen Gebäudes. Die dadurch bedingte Umplanung der Innenräume ist Beleg dafür, dass die erwähnten Befürchtungen berechtigt waren. Unter lebhafter bürgerschaftlicher Fachbegleitung, im Diskurs mit Peter Kulka und einer engagierten Bauleitung im Finanzministerium, aber auch im Rahmen des Baugenehmigungs- bzw. denkmalrechtlichen Erlaubnisverfahrens gegenüber der BAM-Deutschland als Bauträgerin ging es nun u.a. um Maßgenauigkeit von Außenkanten und Fenstern, den Umgang mit Fundamenten und Baufragmenten und um die Qualität der handwerklichen Ausführung der Bauornamente, letzteres beraten durch die Restauratorinnen Mechthild Noll-Minor für das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege und Kathrin Lange für die SPSG. Die Bau- und Skulpturenfragmente wurden durch ProDenkmal Berlin erneut analysiert und maßgeblich an der Marktseite als Spolien eingesetzt sowie, soweit konservatorisch vertretbar, als Geschichtszeugnis in ihrem kriegsversehrten Zustand belassen.

Treppenhaus, 2014. Quelle: SPSG (Foto: Bauers)

Treppenhaus, 2014. Quelle: SPSG (Foto: Bauers)

Landtagsschlosshof, 2014. Quelle: SPSG (Foto: Bauers)

Landtagsschlosshof, 2014. Quelle: SPSG (Foto: Bauers)

Westlicher Marktgiebel, 2016. Quelle: SPSG (Foto: Bauers)

Westlicher Marktgiebel, 2016. Quelle: SPSG (Foto: Bauers)

Einen Übergang zwischen dem historisierenden Äußeren und dem modernen Inneren bildet das Treppenhaus in Kulkas moderner Knobelsdorff-Interpretation mit vier Atlanten und sechs Bronzereliefs als Spolien. Wegen der Vergrößerung des Corps de Logis und der Seitenflügel zum Innenhof hin erhalten die so verschobenen Fassaden keine Attikaskulptur. Für die nachzusetzenden Skulpturen der Außenfassaden, die restaurierungsfachlich wie die des Portals behandelt werden, engagieren sich wieder der Stadtschlossverein und einzelne Spender. Für acht Attikaskulpturen des Potsdamer Stadtschlosses, die 1966 an die Humboldt-Universität ausgeliehen wurden und von denen fünf von den Außenfassaden stammen, gibt es bislang wegen unterschiedlicher Interessen und fachlicher Dissense keine Einigung. Vorrang hat derzeit die Restaurierung der Skulpturen aus den Potsdamer Depots.

Auch wenn man das Landtagschloss aufgrund der nutzungsbedingten und bautechnischen Kompromisse nicht als „Rekonstruktion“ bezeichnen möchte, waren sich bei der Eröffnung des Landtages am 19. Januar 2014 letztlich fast alle einig, dass es richtig war, dem Stadtraum seine Qualität mit einer schon 1996 von Stadtkonservator Andreas Kalesse so bezeichneten „Erinnerungsarchitektur“ wiederzugeben und im Inneren einen modernen Landtag zu errichten. Die lebhaften und oft unbequemen Debatten, vielleicht zuweilen geprägt von zu hohen Erwartungen an das Machbare, haben dennoch letztlich dazu beigetragen, dass sich das Ergebnis im Vergleich mit anderen Projekten in Deutschland durchaus sehen lassen kann. Die Frage, ob das Gebäude im Sinne des Brandenburgischen Denkmalschutzgesetzes „Denkmal“ ist, mögen künftige Generationen entscheiden. Ein Denkmal für ein vielfältiges bürgerschaftliches Engagement und einen hervorragenden, fachorientierten öffentlichen Diskursprozess ist es auf jeden Fall.

Die weiteren Schritte für die Potsdamer Mitte sowie erneut der historische und städtebauliche Wert oder Unwert der DDR-Bauten an dieser Stelle wurden in der Bürgerschaft lebhaft diskutiert. Letztlich setzte sich die „kritische Rekonstruktion“ in einer großen gestalterischen, funktionalen und sozialen Vielfalt durch – ein Ergebnis, das nicht alle, aber doch die meisten Strömungen in der Stadt zusammenführt, wie die zunehmende Nutzungsintensität am Alten Markt zeigt.

Saskia Hüneke ist – neben ihrer beruflichen Tätigkeit in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg – seit 1998 Stadtverordnete für Bündnis 90/Die Grünen sowie aktiv in der Kerngruppe des Potsdamer Stadt-Forums. Davor war sie 1990 Kulturstadträtin in Potsdam, 1991–1993 Stadtverordnete für das Neue Forum/ARGUS sowie 2000–2008 Mitglied im Beirat Potsdamer Mitte.

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